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librium empfiehlt

kurt guggenheim – alles in allem
201504 01
Anfang der siebziger Jahre – gerade sechzehn Jahre alt – lebte ich für ein Zwischenjahr in Zürich. Meine Mutter gab mir bei der Abreise den Roman Alles in Allem von Kurt Guggenheim mit und empfahl mir diese Lektüre, um etwas von Zürich zu verstehen. Da ich ganz auf mich alleine gestellt war, in einem Haushalt arbeitete, wo ich zum Personal zählte und also keinen Familienanschluss hatte, blieb viel Muße für diese über tausendseitige Romanchronik, die Zürich in vier Kapiteln von 1900 bis 1945 darstellt. Ich versank in diesem wunderbaren Werk, das sich über fünfundvierzig Jahre bewegende Geschichte erstreckt, dargestellt an hundertvierzig Menschen, viele davon mit einem realen Hintergrund, neben mir den aktuellen Stadtplan. Ich tauchte ein in diesen Kosmos von verschiedenen Religionen, gesellschaftlichen Schichten, politischen Wirrnissen und städteplanerischen Umwälzungen. Am Ende der Lektüre verspürte ich die schmerzliche Leere, die nur gelungene Literatur hinterlässt. Bei der zweiten Lektüre, etwa drei Jahrzehnte später, staunte ich über die Komplexität und die aktuelle Bedeutung dieses Meisterwerks und fragte mich zugleich, was ich in meinem jugendlichen Alter wirklich verstanden hatte, eine Frage, die wohl den meisten »Wiederlesern« bekannt ist. Auch Kurt Guggenheim, 1896 in Zürich geboren, und bis zu seinem Tod 1983 in Zürich lebend, war erst sechzehn Jahre alt, als er begann, ein außerordentlich literarisch orientiertes Tagebuch zu führen. Ab 1930 widmete er sein Leben ganz dem Schreiben. 1946, nachdem er schon einige Romane veröffentlicht hatte, schrieb er an seinen Verleger Friedrich Witz: »Ich will zwischen 50 und 60 einen grossen, modernen schweizerischen Struktur- und Generationenroman schreiben. Das Problem für mich ist, die ihm adäquate neue Form zu finden. « Und wie ihm dies gelungen ist! Von 1952 bis 1955 erschien der Roman in vier Teilen, nach dem Erscheinen des letzten Teils erhielt er für das Werk 1955 den Zürcher Literaturpreis. Doch lesen Sie selbst, folgen Sie Aaron Reiss, dem Alter Ego Guggenheims, durch diese fünfundvierzig Jahre in Zürich, lassen Sie sich von seiner Liebesgeschichte, seinen Hoffnungen und Enttäuschungen ergreifen, Sie werden es nicht bereuen! stern kSusanne Jäggi | Huber, 1088 Seiten, € [D] 42,95 | € [A] 42,95
 
Zum sechzigjährigen Jubiläum des Romans erschien Anfang 2015 eine Werkausgabe des Autors: Kurt Guggenheim: Die gesammelten Werke im Schuber, 8 Bände Herausgegeben und kommentiert von Charles Linsmayer Huber, 3556 Seiten, € [D, A] 120,– Außerdem empfehlenswert: 60 Jahre Alles in Allem. Zürich im Spiegel von Kurt Guggenheims Romanchronik und weiteren literarischen Werken des 20. Jahrhunderts. Eine Ausstellung von Charles Linsmayer im Museum Strauhof, Augustinergasse 9, 8001 Zürich. Noch bis zum 31. Mai 2015